Recht

LKW-Kartell in der EU:
Noch kein Ende der Schadenersatzklagen in Sicht

Veröffentlicht am 05.12.2024 | Aktualisiert am 20.11.2025 | von Fabian Schmid

Vor bald 10 Jahren hat die EU-Kommission gegen die Hersteller schwerer Nutzfahrzeuge ein Bussgeld in Milliardenhöhe verhängt (der Beschluss der EU-Kommission wurde vom Europäischen Gerichtshof im Februar 2024 letztinstanzlich bestätigt). Grund sind die zwischen 1997 und 2011 getätigten Kartellabsprachen. Seither treten ausländische Geschädigtenvertreter an Schweizer Transportunternehmen heran mit der Absicht, diese für ausländische Schadenersatzprozesse zu gewinnen. Das Ende und die Erfolgsaussichten der Verfahren sind weder absehbar noch abschätzbar. Was ist von der Thematik zu halten?

Gericht

1. ASTAG-Beschluss von 2016

Die ASTAG-Leitgremien haben sich bereits im Jahr 2016 intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Nach der Einholung eines Gutachtens bei einem CH-Kartellrechtsspezialisten, der Prüfung und Abwägung aller Fakten und Erkenntnisse haben die ASTAG-Führungsgremien (Verwaltungsausschuss und Zentralvorstand) beschlossen, keine weiteren Aktivitäten zu entfalten. Grund: Namentlich in der Schweiz sind die Erfolgsaussichten für die gerichtliche Durchsetzung von Schadenersatzforderungen äusserst gering und die Kosten- und Prozessrisiken entsprechend hoch.

Auch heute (November 2025) besteht keine Veranlassung, auf den Entscheid der ASTAG-Führungsgremien von 2016 zurückzukommen.

2. EU-Raum betroffen

Das sog. «LKW-Kartell» betrifft ausschliesslich Preisabsprachen im EU-Raum. Deshalb sind die von den EU-Instanzen ergangenen Entscheidungen und verhängten Bussgelder für die Schweiz nicht unmittelbar verbindlich, Schweizer Behörden (Wettbewerbskommission, Gerichte etc.) haben Preisabsprachen auf dem Schweizer Markt weder untersucht noch nachgewiesen.

Trotz des ausschliesslich ausländischen Bezugsrahmens werden Schweizer Nutzfahrzeughalter seit mehreren Jahren von ausländischen Interessenvertretern kontaktiert und mit diversen Angeboten zum Anschluss an die ausländischen Schadenersatzprozesse animiert. Die Angebote bestehen meist darin, dass Anwaltskanzleien oder andere Personenkreise als sog. Geschädigtenvertreter auftreten und sich die Schadenersatzforderungen von den Fahrzeughaltern abtreten lassen mit dem Ziel, die Forderungen vieler Halter zu einer einzigen Klage zusammenzufassen (sog. Sammelklage) und diese vor Gericht durchzusetzen versuchen. Alternativ kann die Zielsetzung auch darin bestehen, mit den Fahrzeugherstellern eine aussergerichtliche Einigung zu erzielen.

Es ist wie bei allen gerichtlichen oder aussergerichtlichen Verfahren nicht auszuschliessen, dass solche Aktivitäten Aussicht auf Erfolg haben und also zu Schadenersatzzahlungen führen könnten, auch mit Blick auf Schweizer Fahrzeughalter, die sich den Verfahren anschliessen.. 

3. Sammelklagen in der EU

Das Konstrukt der Sammelklage bezweckt im Kern, dass ein sog. Prozessfinanzierer "volles Risiko" geht und im Erfolgsfall entsprechend reichlich belohnt wird. Auch Broker/Vermittler können Teil des Systems sein und erhalten diesfalls für ihre Dienste Provisionen ausbezahlt. Der Schweizer Fahrzeughalter trägt im Regelfall und genau wie die angeschlossenen ausländischen Halter weder das Prozessrisiko noch muss er sonstige Vorleistungen erbringen. Nur wenn die Sammelklage Erfolg hat, erhalten die angeschlossenen Fahrzeughalter Geld ausbezahlt, vermindert um den Anteil des Prozessfinanzieres, der sich auf 30 bis 50 Prozent (oder noch mehr) belaufen kann.

Die ASTAG hat zwar Kenntnisse darüber, dass sich Schweizer Fahrzeughalter den EU-Schadenersatzprozessen angeschlossen haben, sie hat jedoch keine Kenntnisse (Stand November 2025) über erfolgte Auszahlungen an CH-Transportunternehmen im Zuge solcher EU-Verfahren. 

4. Unternehmerischer Entscheid

Letztlich bleibt es ein unternehmerischer Entscheid, ob man sich als CH-Unternehmen den EU-Sammelklagen anschliessen will oder nicht.

Vor dem Hintergrund, dass grundsätzlich nur Schadenersatzansprüche geltend machen kann, wer nachweisbar einen Schaden erlitten hat, erscheint die materielle Anspruchsgrundlage zumindest dann fragwürdig, wenn ein Fahrzeughalter die Fahrzeugbeschaffungskosten in die Frachtraten eingepreist und mithin an die Kunden weitergegeben hat. Dann nämlich hätten die Kunden den tatsächlichen Schaden erlitten (oder wiederum deren Kunden im Falle der Weiterverrechnung) und könnten entsprechende Rückforderungsansprüche erheben – ein kaum überblickbares Kausalitätsgeflecht, das die Erfolgsaussichten eines Rechtsstreits zumindest nicht erhöht.

5. Unterstützung ASTAG

ASTAG-Mitglieder, die konkrete Angebote unterbreitet erhalten, können sich an die ASTAG wenden zwecks inhaltlicher Überprüfung der offerierten Dienstleistungen mit Fokus auf mögliche Kostenrisiken. Die Beratung der ASTAG erfolgt ohne jede Gewähr.